Heute schreibe ich einen Artikel zu einem anderen, mir aber ebenfalls sehr wichtigen Thema: Community Management. Es geht dabei um die Frage wann eine Community als „Gesund“ gilt. Diese für jeden Betreiber von Communities sehr wichtige Frage ist leider derzeit nur sehr wenig zufriedenstellend untersucht. Um hier etwas akademische Substanz zu schaffen, hat Martin Menzel, ein Werkstudent von uns, diese Frage in seiner Bachelorarbeit an der HTW-Berlin, betreut von Prof. Sven Prüser und mir, empirisch untersucht. Die Ergebnisse der Arbeit habe ich zum ersten Mal auf dem Community Camp 2011 vorgestellt und stelle sie jetzt im Blog zur Verfügung.
Communities auf MOTOR-TALK.de
Der Claim von MOTOR-TALK.de lautet „Europas größte Auto- und Motor-Community“. Trotz der fast 2 Millionen Mitglieder (täglich kommen 500-1000 neue dazu) ist das eigentlich nicht ganz korrekt. Denn MOTOR-TALK.de ist weniger eine einzelne, geschlossene Community als mehr eine Plattform für verschiedene Micro-Communities, die sich entweder um Themen wie z.B. Alternative Kraftstoffe und Oldtimer oder um Marken und Modelle wie Harley Davidson und 3er BMW bilden.
Innerhalb dieser Bereiche lernen sich die Nutzer oft sehr gut kennen und bilden so eine Community aus. Wechselt ein Mitglied den Bereich, z.B. weil er sich ein neues Fahrzeug angeschafft hat, so wechselt er meist auch die Community und muss seine soziale Reputation teilweise wieder neu erarbeiten.
Es gibt mittlerweile bald mehr als 500 derartige Communities auf MOTOR-TALK.de. Manche davon blühen und gedeihen, andere fristen eher ein trauriges Dasein.
Gesundheit von Communities
Wie man in einem ersten naiven Ansatz meinen könnte, zeigt die schiere Anzahl der Beiträge den Gesundheitszustand einer Community am besten an. Dies ist aber falsch, denn die Aktivität unterliegt zahlreichen weiteren Einflüssen:
- Jahreszeitliche Schwankungen (Cabriolet/Motorrad im Frühjahr vs. Winter)
- Modellwechsel, Facelifts etc…
- Markenübergreifende, sehr emotionale Themen wie E10, Abwrackprämie etc.
- Verlust/Zugewinn von Vielschreibern (Spammern) mit wenig substantiellen Beiträgen
Was also ist eine Gesunde Community? Ich lehne mich hier an eine Definition von spring an, die auf dem Social Media Measurement Summit 2010 vorgestellt wurde.
Eine Community ist gesund, wenn
- Die Frequenz der Nutzung steigt oder gleich bleibt
- Qualität und Quantität der Interaktionen korrespondieren
- „Newbies“ nicht draussen bleiben müssen:
- sich alte und neue Benutzer durchmischen
- Postings von Newbies aufgenommen werden
- Die Moderation funktioniert
- Die Reaktionszeiten auf Beiträge nicht zu lang ist
- Die Qualität der Beiträge in Ordnung ist
- Riskante Themen beherrschbar bleiben
Auswahl der Communities
Obwohl also die schiere Anzahl der Beiträge kein geeignetes Kriterium zu sein scheint, die Gesundheit einer Community zu bestimmen wird jeder Moderator oder Administrator trotzdem aus dem Bauchgefühl sagen können ob seine Community gesund oder ungesund ist.
Um also verschiedene Parameter daraufhin untersuchen zu können, ob diese als Indikatoren für den Gesundheitszustand einer Community in Frage kommen, mussten wir zunächst eine Menge von Communities identifizieren, die als Gesund oder Ungesund gelten. Wir haben also unsere ca. 20-30 Moderatoren gefragt, welche dafür in Frage kommen würden. Von den genannten Communities haben wir nur diejenigen mit einbezogen, für die es Mehrfachnennungen in einer Kategorie und keine widersprüchlichen Einordnungen gab.
Auf diese Art haben wir 5 Gesunde und 5 Ungesunde Communities identifizieren können.
Indikatoren für Gesundheit
Die eigentliche Aufgabe bestand nun aber darin, verschiedene Kennziffern zu isolieren, die mit diesen 10 Communities korrelieren. Dazu haben wir in einem Brainstorming der Community Manager fast 50 mögliche Kandidaten aufgestellt, wie z.B.:
- Anzahl der Alarme
- Anzahl der unbeantworteten Fragen
- Anzahl Aktiver Themen
- Anzahl der vergebenen Dankeschöns
- Anzahl der distinct User
- Anzahl der internen Verlinkungen
- Anteil verschiedener Personas
- …
und viele, viele mehr. Im Ergebnis der Arbeit wurde einfach jeder dieser Kandidaten gegen die Werte in den 5 gesunden und in den 5 ungesunden Communities gematcht.
Vier Indikatoren haben sich dabei als besonders zuverlässig gezeigt:
- Anzahl der abonnierten vs. der aktiven Themen (Mehr in ungesunden Communities)
- Anteil der neuen Themen ohne Antwort (Mehr in ungesunden Communities)
- Anzahl der Dankeschöns pro Beitrag (Mehr in ungesunden Communities)
- Anteil neuer Themen an den Beiträgen (Mehr in gesunden Communities)
Die Ergebnisse sind zunächst einmal erfreulich, aber auch ein kleiner Schock für viele Social Media „Experten“. Diese hätten vermutlich bei Dankeschöns, unbeantworten und abonnierten Themen wohl eher den umgekehrten Zusammenhang vermutet. Anders unsere (ehrenamtlichen) Moderatoren mit bis zu 10 Jahren Erfahrung im Moderieren. Ihre Reaktion auf die Ergebnisse der Arbeit war eher: das hab ich doch schon immer gesagt.
Aber woran liegt das? Ich habe lange über die Frage nachgedacht, für die auch die Arbeit keine Lösung bietet. Aber inzwischen bin ich mir ziemlich sicher, dass die Ursache in der Überalterung von Communities liegt.
Spoiler: Sie verlassen den akademischen Sektor!
Ab jetzt folgen Interpretationen aus Spekulatien!
Überalterung von Communities
In einer jungen Community gibt es noch wenige soziale Hierarchien. Fast alle Themen sind neu, viele bleiben unbeantwortet und die Nutzer kennen sich untereinander sehr wenig. Die Dankeschöns sind daher auch noch sehr fachlich orientiert und werden sparsam vergeben.
Mit der Zeit „altert“ die Community aber. Nach ersten Spannungen wandern erste Benutzer ab, andere werden (oft auf Grund ihres großen Wissens) zu „Platzhirschen“ und Kapazitäten. Neue Beiträge bleiben seltener unbeantwortet sondern werden durch mitunter auch rüde Beiträge „Lies die FAQ“ oder „Benutze die Suchfunktion“ zwar beantwortet, aber nicht gelöst. Vor allem für neue Nutzer gibt es kaum Raum „zum Wachsen“, sie finden seltener Anschluss und springen schnell wieder ab. Dankeschöns werden nun auch häufiger gegeben, sei es aus Sympathie oder teilweise auch aus Gewohnheit. Und natürlich werden automatisch alle Themen abonniert.
Das Forum bzw. die Community zeigt nun deutliche Alterserscheinungen. Es ist im Sinne der oben genannten Kriterien nicht mehr gesund und zeigt aber genau diejenigen Indikatoren an, die in der Arbeit als besonders geeignet ermittelt wurden.
Betrachten wir diese Indikatoren einmal im Lichte dieser Hypothese.
Platz 1: Mehr abonnierte Themen in ungesunden Communties
Das Abonnieren eines Thema ist eigentlich eine „passive“ Handlung denn dadurch entsteht meist kein neuer Beitrag. Trotzdem hat sich dieser Sensor als ausgesprochen gut geeignet dafür herausgestellt, ungesunde von gesunden Communities zu unterscheiden. Naiverweise würde man annehmen, dass in den Gesunden Communities mehr abonniert wird, aber das Gegenteil ist der Fall: in den ungesunden Communities ist der Anteil der Abonnements fast doppelt so groß wie in den gesunden Communities.
Warum ist das so? Ein erfahrener Nutzer weiß: das Einmischen in eine Diskussion kostet viel Zeit. Mit einer eigenen Stellungnahme, halst er sich die Verpflichtung auf, auch die Antworten auf seine Antwort wieder zu erwidern. Trotzdem interessiert ihn das Thema und er kennt sich mit den Mechaniken des Forums („abonnieren“) sehr gut aus und aboniert den Thread. Das Nutzungsverhalten einer alternernden Community wird also eher passiv, und genau das drückt dieser Indikator aus.
Platz 2: Mehr unbeantwortete Themen in gesunden Communities
Das der Anteil der Themen ohne Antwort als Indikator geeignet ist, scheint ebenfalls wenig überraschend. Überraschend dagegen ist die Tatsache, dass sich auch dieser Indikator genau andersherum verhält, als man eigentlich erwarten würde: ausgerechnet in ungesunden Communities bleibt nämlich fast kein einziges Thema unbeantwortet.
Verantwortlich dafür sind oft alteingesessene Mitglieder, die jeden neuen Beitrag beantworten – mitunter leider auch mit wenig hilfreichen Statements wie „Schau in der FAQ nach“ oder „Benutz die Suche“. Formal ist das Thema daher beantwortet – geholfen wurde dem Fragesteller dabei aber vielleicht nicht. Derartige „Sheriffs“ fehlen aber meist in jüngeren (gesunden) Communities.
Platz 3: Mehr Dankeschöns in ungesunden Communities
Das Dankeschön als soziale Anerkennung für einen guten Beitrag: auch hier würde man vermuten, dass dies in gesunden Communities besser funktioniert. Aber wieder Fehlanzeige: die Dankeschön-Funktion wird eben nicht nur zu fachlicher Anerkennung, sondern auch als Sympathie oder eben „Gewohnheit“ vergeben. Das geschieht eben weitaus häufiger in ungesunden Communities.
In jüngeren, gesünderen Communites steht die fachliche Anwendung der Dankeschöns noch im Vordergrund und die Vergabe erfolgt seltener. Gibt es aber erst einmal eine Cliquenbildung, so mutiert die (einst fachliche) Dankeschön-Funktion zu einer Selbstverstärkungsfunktion fast aller Statements innerhalb der dominierenden Foren-Clique(n).
Platz 4: Mehr neuer Themen in gesunden Communities
Dieser Wert verhält sich als einziger so, wie man es auch naiverweise annehmen würde: in Gesunden Communities funktioniert der „Nachschub“ mit neuen Themen weitaus besser, als in ungesunden Communities. Hier gibt es eben oft Monster-Threads, die seit Jahren immer wieder durchgekaut werden, ohne substantiell neuen Input zu bringen. Die Anzahl der neuen Beiträge verteilt sich dann nicht auf wenige dieser Monster-Threads, sondern über viele (teilweise eben auch unbeantwortete) Themen.
Ausblick
Welche Handlungsanweisungen für den Betreiber der Community ergeben sich daraus? DAS ist vielleicht ein Thema für eine weiterführende Arbeit.
Hinweis: Die vollständige Arbeit kann man (leider kostenpflichtig) hier herunterladen.
One Response to “Gesundheit von Communities”
dessie
In vielen Punkten zutreffend beschrieben – dennoch scheinen Konzepte zu fehlen, die einem ,,Kippen“ einzelner Communitys begegneb zu fehlen.